ABM in der Physik - Werner Lahmer

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ABM in der Physik

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Nach zwei Jahren doch in die Arbeitslosigkeit?


Physikalische Blätter 47 (1991), Nr. 10, S. 930

Nach den im Juli vom Wissenschaftsrat (WR) vorgelegten Empfehlungen zur Neustrukturierung der außeruniversitären Forschung in den neuen Bundesländern steht fest, welche Einrichtungen in welcher Trägerschaft und mit welcher Personalstärke fortgeführt werden sollen. Obwohl ein Großteil der gegenwärtig noch ca. 18.000 AdW-Mitarbeiter weiterbeschäftigt werden kann, wird sich etwa ein Drittel nach einem neuen Job umsehen müssen. Eine schwierige Aufgabe angesichts der Tatsache, daß sich mittlerweile ganze Forschungsabteilungen aufgelöst haben und die Zahl der in der Industrie beschäftigten Wissenschaftler dramatisch abnimmt.

Da sich die DDR-Forschung nach anderen Regulativen entwickelt hat, sind die gegenwärtigen Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht überraschend, und die Anpassung an eine pluralistisch organisierte, gesamtdeutsche Forschungslandschaft verlangt nach Übergangslösungen.

Damit die Arbeitsplatzsuche nicht für alle Betroffenen in der Arbeitslosigkeit endet, wurden vom WR Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) angeregt, auf deren Basis Forschungsprojekte für mehr als 2.000 Personen finanziert werden sollen. Inwieweit solche Maßnahmen, die bislang auf den kommunalen, sozialen und ökologischen Bereich beschränkt waren, auch im Forschungsbereich wirksam sind, ist eine offene Frage, da die Mehrzahl dieser Projekte ihren Praxistest noch vor sich hat.

"ABM-Stellen eröffnen durchaus eine Möglichkeit, die momentan sehr begrenzten Aufnahmemöglichkeiten in den neuen Forschungsstrukturen zu erweitern", erläutert Dr. K.-G. Schulz, Direktor des Zentralinstituts für Elektronenphysik (ZIE) in Berlin, auf die Frage, ob das Mittel ABM mit der besonderen Arbeitsweise in der Forschung überhaupt vereinbar sei. Das ZIE - obwohl inhaltlich bei der Bewertung durch die Arbeitsgruppe Physik des WR im Grunde "sehr gut weggekommen" - hat Schwierigkeiten funktionsfähig zu bleiben. Vor allem durch die Abwanderung technischer und in der Infrastruktur beschäftigter Kräfte ist der Personalstand von einstmals 718 auf z.Z. 531 Mitarbeitern geschrumpft, von denen 338 eine Empfehlung für die neu zu gründenden Institutionen erhalten haben. Unter ihnen lediglich 130 von ehemals 264 Wissenschaftlern. 13 ABM-Anträge für etwa 40 Mitarbeiter sind bereits gestellt worden, entsprechende Projekte für insgesamt 150 Mitarbeiter in Vorbereitung.

Auf den ersten Blick scheinen diese Zahlen damit Pressemeldungen über ein "gutes Anlaufen der ABM's im FuE-Bereich" und die Bereitschaft der Betroffenen, solche Maßnahmen auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen, zu bestätigen. Der Grund dafür, daß das Angebot ABM in der Vergangenheit trotzdem eher zögernd angenommen wurde, so Schulz, sei in der allgemeinen Hoffnungslosigkeit der Betroffenen zu suchen. Bis zur letzten Sekunde hätten viele gehofft, doch noch in den Nachfolgeinstitutionen unterzukommen, und ABM-Anträge erst dann eingereicht, als dies aussichtslos erschien.

Zu dieser abwartenden Haltung mögen neben dem Gefühl, einem besonderen Wertmaßstab zu unterliegen und möglicherweise in eine Nische minderwertigen wissenschaftlichen Stellenwerts abgeschoben zu werden, sicherlich auch die formellen Voraussetzungen für die Antragstellung beigetragen haben, die von der Bundesanstalt für Arbeit als Geldgeber definiert werden und nicht gerade spezifisch für die Wissenschaft sind. So sind die Kriterien, daß es sich bei den Maßnahmen um solche von "öffentlichem Interesse" und um "zusätzliche Arbeiten" handeln müsse, in der Wissenschaft relativ einfach zu erfüllen, da man bei der Aufgabendefinition - ohne sich meist allzu weit von seinem bisherigen Forschungsfeld zu entfernen - beliebig in die Tiefe und Breite gehen kann, und Themen sich auf vordergründig gemeinnützige Ziele festschreiben lassen. Auch die Voraussetzung, der Antragsteller müsse sich im Laufe des ABM-Vorhabens "qualifizieren", um nach Ablauf der Förderzeit wieder "marktfähig" zu sein, verdeutlicht, daß wissenschaftlie Projekte hier offensichtlich mit Maßstäben gemessen werden, die aus der anders angelegten Zielrichtung von ABM in den alten Ländern resultieren und für bislang übliche, infrastrukturelle Aufgaben sicherlich richtig waren, für die wissenschaftliche Arbeit aber wenig hilfreich erscheinen.

"Wir nehmen das Mittel ABM grundsätzlich an, um uns in die Forschungslandschaft der alten BRD einzugliedern, haben aber unsere Bedenken, ob es im Wissenschaftsbereich greifen wird", meint deshalb auch Dr. W. König, zuständiger ABM-Sachbearbeiter am ZIE, und verweist auf zusätzliche, verfahrenstechnische Probleme, die ABM-Projekte mit sich bringen. Diese beginnen mit dem Projektantrag, der zunächst vor einem wissenschaftlichen Gremium des betreffenden Instituts verteidigt werden muß, da es einer Abstimmung zwischen benötigten Sachmitteln und den Möglichkeiten des Instituts bedarf, diese Mittel nach der Verteilung auf die neuen Einrichtungen noch zur Verfügung zu stellen. Der so abgestimmte ABM-Antrag wird dann an den zuständigen Träger weitergereicht, im Normalfall die "Koordinierungs- und Abwicklungsstelle für die Institute und Einrichtungen der ehem. AdW" (KAI-AdW), eine Ende letzten Jahres geschaffene Einrichtung der fünf neuen Länder und des BMFT, die über Annahme oder Ablehnung entscheidet. HauptamtlicheBM-Bearbeiter überstellen den Antrag nach weiterer Qualifizierung gemeinsam mit dem Antragsteller schließlich dem zuständigen Arbeitsamt. Eine inhaltliche Beeinflussung ist wegen der nicht wissenschafts-spezifischen Bewertung von diesem Zeitpunkt an nicht mehr möglich.

So begrüßenswert das Angebot ABM auch sein mag, es bleiben berechtigte Zweifel daran, ob es sich trotz seiner "flexiblen Möglichkeiten" wirklich zu einem geeigneten Instrument und zu einem Auffangbecken für die auf einige Tausend zu beziffernde Zahl Betroffener im naturwissenschaftlichen Bereich entwickeln wird, die infolge der Personalstellenbeschränkungen weder in den AdW-Nachfolgeeinrichtungen Unterkommen finden, noch durch andere Sozialmaßnahmen abgesichert werden. Ebenso zweifelhaft erscheint die Absicht, mittels ABM - über die bloße Vermeidung von Härten und die Abfederung regionaler Arbeitsmarktprobleme hinaus - die Qualifikation von Wissenschaftlern zu "erhalten" und zu "erweitern", sowie ihre spätere Reintegration in die Forschung zu erreichen. Und das bei einer tariflichen Bezahlung nach "BAT-Ost", die - unabhängig von Qualifikation und Verantwortung - zwei Stufen unter der in den neuen, institutionell geförderten Einrichtungen liegt.

"Wir sind froh und dankbar, daß Kollegen über diese Maßnahmen arbeiten und eventuell in den Vorruhestand gehen können. Persönlich würde ich es aber vorziehen, wenn diese Mittel der Forschungsförderung direkt bereitgestellt werden könnten", macht Schulz deutlich mit dem Hinweis, daß ABM-Mitarbeiter nur dann im Forschungssystem gehalten werden könnten, wenn deren Projekte zur inhaltlichen Unterstützung von den neuen Einrichtungen mitbetreut, und nicht zentral von der KAI verwaltet würden. Eine qualitative Einschätzung der geleisteten Arbeit erscheine nur unter der wissenschaftlichen Betreuung und Kontrolle dieser Institutionen, und nicht durch das Arbeitsamt, möglich. Darüber hinaus bleibe bei einer direkten Projektförderung mit klar definierten Zielstellungen und Kontrollmechanismen stets die Möglichkeit offen, sich nach ein oder zwei Jahren für ein neues Projekt zu bewerben. Ganz im Gegensatz zu ABM, denn "dort ist es irgendwann mal aus".

Weitere Schwächen des ABM-Prinzips sind neben den unzureichenden Bewertungsmaßstäben die zu niedrigen Sachkostenzuschüsse, die erst kürzlich von einem Drittel auf magere 15% der Lohnkostenzuschüsse reduziert wurden und eine sinnvolle Forschungstätigkeit in Frage stellen. "Viel Masse, aber keine Qualität" ist in der Wissenschaft wenig angebracht, und Außnahmeregelungen in diesem Bereich erscheinen zwingend notwendig.

Der größte Mangel der ABM-Projekte liegt jedoch in der für den Forschungsbereich viel zu kurzen Förderungsdauer von maximal zwei Jahren. Am schlimmsten davon betroffen werden diejenigen sein, die mit 50 einen ABM-Antrag einreichen und nach dessen Ablauf praktisch keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt haben. Und zwar nicht nur in der Industrie, für die es momentan so gut wie keine Auftraggeber mehr gibt, sondern auch in der Forschung. Besonders für diese Gruppe älterer Wissenschaftler wären deshalb Anschlußmöglichkeiten und Nachfolgeaufgaben notwendig, die einen auch finanziell abgesicherten Übergang in den Vorruhestand von 55 Jahren sicherstellen.

"Wenn heute jemand einen ABM-Vertrag abschließt, dann sicherlich auch in der Hoffnung, daß der Forschungsetat der BRD in Zukunft einen höheren Stellenwert erhält und die Möglichkeiten der institutionellen Förderung in zwei Jahren gestiegen sind", kommentiert Schulz dieses Problem. "Um es ganz deutlich zu sagen: Wenn es schon nicht möglich ist, die ABM-Mittel der Forschungsförderung direkt zukommen zu lassen, dann unterstützen wir diese Maßnahmen. Wenn Sie 20 oder 25 Jahre als Wissenschaftler gearbeitet haben, sind Sie schließlich nicht am Ende Ihrer Laufbahn, haben Ideen und wollen diese verwirklichen. Vor die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit und einem ABM-Projekt gestellt nehmen Sie dann natürlich auch eine solche Chance wahr, selbst wenn es nur für die nächsten zwei Jahre ist. Aber es ist natürlich nicht das, was man erwartet." Dennoch werde man auch auf politischem Weg weiterhin klarzumachen versuchen, daß Wissenschaft anders unterstützt werden sollte, damit ABM für die nicht in die neuen Strukturen Übernomnen mehr bedeutet als ein Hinausschieben der Arbeitslosigkeit um zwei Jahre.

 
 
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