Der BEFS-Effekt - Werner Lahmer

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Der BEFS-Effekt

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Das Ende des schweren Neutrinos?


Physikalische Blätter 48 (1992), Nr. 3, S. 189

Detaillierte Messungen von ß-Spektren haben in den letzten Jahren zu Spekulationen über die Existenz eines Neutrinos der Masse 17 keV geführt [1,2,3]. Da sich die durch ein derartiges Neutrino hervorgerufenen Störungen unterhalb der 1%-Marke bewegen, erfordern solche Studien ein quantitatives Verständnis einer ganzen Reihe von Mechanismen, die die Spektrenform beeinflussen können.

Der Hinweis Koonins [4] auf einen bislang nicht beachteten Störeffekt dürfte nunmehr die Reihen derjenigen stärken, die der 17 keV Neutrino-Hypothese seit jeher skeptisch gegenüberstanden. Bei dem von ihm als BEFS (beta environmental fine structure) bezeichneten Effekt handelt es sich um einen Prozeß, der in analoger Form als EXAFS (extended X-ray absorption fine structure) bei Festkörperphysikern und Molekuarbiologen schon seit längerem bekannt ist und zur Identifikation von Feinstrukturen in Kristallen und Molekülen verwendet wird. Genau wie dieser beruht BEFS auf quantenmechanischen Interferenzvorgängen eines in einem Festkörper oder Molekül emittierten Elektrons. Das vom radioaktiven Atom emittierte ß-Teilchen wird von Atomen der unmittelbaren Umgebung zurückgestreut, und konstruktive bzw. destruktive Interferenz führt zu einer erhöhten bzw. verminderten ß-Emissionswahrscheinlichkeit. Im ß-Spektrum beobachtet man Oszillationen, die aus der Energieabhängigkeit der Phasenverschiebung zwischen auslaufender d rückgestreuter Welle resultieren. Die Periode dieser Oszillationen hängt vom interatomaren Abstand ab, ihre Amplitude von der genauen Struktur der Umgebung des zerfallenden Atoms.

Für den häufig zitierten ß-Zerfall von Tritium, das in einen Ge-Kristall implantiert wird, liegt der BEFS-Effekt in der Größenordnung, die 1985 die Spekulationen um das 17 keV-Neutrino auslöste. Die Oszillationsstruktur wird in dem für die Suche nach diesem Neutrino wichtigen Energiebereich 0.6-1.6 keV vom Beitrag des nächsten Ge-Atoms dominiert und nimmt einen maximalen Wert von ca. 0.5% an. Keine Rolle spielt BEFS dagegen in Experimenten, die höherenergetische ß-Quellen (wie z.B. 35S) verwenden.

Auch wenn der von Koonin angeführte Prozeß wahrscheinlich nicht alle Anomalien in den ß-Spektren wird erklären können - wegen seiner beachtlichen Größenordnung dürfte er zumindest im Tritium-Zerfall für die Suche nach schweren Neutrinos von Bedeutung sein und die Interpretation dieser Experimente stark beeinflussen. Um die Meßdaten zu korrigieren, wird man deshalb in Zukunft nicht nur apparativen Einflüssen Beachtung schenken müssen, sondern auch der chemischen Natur und der Temperatur der ß-Quelle.

Doch auch über den Aspekt der Suche nach schweren Neutrinos hinaus dürfte sich die BEFS-Methode als sehr nützlich erweisen. Mögliche Anwendungen reichen von der Untersuchung lokaler atomarer Strukturen, wo Form und Größe der Oszillationen Informationen über interatomare Abstände und Anordnungen von Atomen liefern, bis hin zum Studium spezifischer, radioaktiv markierter Stellen in großen Molekülen. Der im Gegensatz zu anderen Techniken geringe apparative Aufwand könnte BEFS somit möglicherweise schon bald zu einer etablierten Methode der Strukturforschung machen.

[1] Lahmer, W., Phys. Bl. 47 (1991) Nr. 6, 530
[2] Hime, A. and Jelley, N. A., Phys. Lett. B257 (1991) 441
[3] Sur, B. et al, Phys. Rev. Lett. 66 (1991) 2444
[4] Koonin, S. E., Nature Vol. 354 (1991) 468

 
 
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